Menü

Symposium: Was bedeutet Demokratie in der EU im 21. Jahrhundert?

Freitag, 17. Mai 2019, 15:00 bis 19:30 Uhr
Gebäude 1, Raum 529

 

Fragen aus dem Publikum an Prof. Dr. Klaus-Jürgen Grün, Prof. Dr. Nicole Deitelhoff und Jun.-Prof. Dr. Sascha Dickel (v.l.n.r.)

 

Am 17. Mai 2019 diskutierten die Expertinnen und Experten Prof. Dr. Klaus-Jürgen Grün (Ethikverband der deutschen Wirtschaft e.V. und Goethe-Universität Frankfurt am Main), Jun.-Prof. Dr. Sascha Dickel (Johannes Gutenberg-Universität Mainz), Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und Goethe-Universität Frankfurt am Main), Prof. Dr. Armin Nassehi (Ludwig-Maximilians-Universität München), und Prof. Dr. Martin Saar (Goethe-Universität Frankfurt am Main) am Center for Applied European Studies (CAES) zum Thema „Was bedeutet Demokratie in der EU im 21. Jahrhundert?“. Die Fragen aus dem Publikum wurden jeweils moderiert von Bibiana Barth (hr-iNFO).

Die Vizepräsidentin der Frankfurt UAS, Prof. Dr. Martina Klärle, betonte, dass die Sorge um die Tragfähigkeit der Demokratie in der EU noch nie zuvor so groß gewesen sei. Die Hochschule, als Ort der Bildung, müsse sich einer gesellschaftlichen Herausforderung wie dieser annehmen.

In seiner Begrüßung hob der Geschäftsführende Direktor des CAES, Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, hervor, dass die Frage der Demokratie in der anstehenden Europawahl in den Vordergrund gerückt sei, da einzelne Mitgliedsstaaten unterschiedliche Interpretationsmodelle ansetzen. „In dieser Wahl wird verhandelt: Wieviel Demokratie braucht die Europäische Union mindestens, um sich als politische Institution demokratisch nennen zu können?“.

Als erster Referent näherte sich Prof. Dr. Klaus-Jürgen Grün aus sprachphilosophischer Perspektive dem Begriff der „Bedeutung“ an. Er bot Beispiele wie der einzelne Mensch Wörter automatisch mit einer bestimmten Bedeutung fülle und der Überzeugung sei, die eigene Intention müsse die Bedeutung eines Wortes festlegen. Feste Denkmuster seien in Hinblick auf den Demokratiebegriff kritisch zu reflektieren. Grün empfahl innerhalb der EU mehr eine beobachtende als eine kontrollierende Rolle einzunehmen und hierbei die Interpretation des Demokratiebegriffs kritisch zu reflektieren. „Die Nationalstaaten haben ihre je eigene Bedeutung von Demokratie ausgebildet und dabei für sich jeweils ein halbwegs stabiles Verhältnis von Freiheitsrechten und Einschränkungen oder ,Unfreiheiten‘ ausgeprägt“, so Grün.

Es folgte Jun.-Prof. Dr. Sascha Dickel mit seinen Gedanken zur „digitalen Demokratisierung“ und somit dem Zusammenhang von Demokratie und einer sich durch Massenmedien wandelnden Öffentlichkeit. Er hob hervor, dass im Rahmen des Strukturwandels die Botschaft in den Hintergrund und die „Architektur des Medialen“ in den Vordergrund trete. Dickel erläuterte fünf Thesen der Transformation des Öffentlichen im 21. Jahrhundert: (1) Es entstehe eine reziproke Kommunikation, da das Publikum durch die sogenannten sozialen Medien zum Produzenten werde, (2) es entstehen neue Ordnungsmuster zur Wiedererkennbarkeit von Themen, zum Beispiel in Form von Hashtags, (3) die soziale Realität scheine im Digitalen konstruiert und weniger objektiv gegeben (4) öffentliche Diskurse werden bestimmt durch die Gestaltung der medialen Infrastruktur und (5) die einzelnen Bürger/-innen nutzen soziale Medien als Experimentalraum zur Partizipation. „Wenn wir unsere Demokratie im 21. Jahrhundert gestalten wollen, dann müssen wir uns um diese Architekturen des Medialen kümmern“, schloss Dickel.

Prof. Dr. Nicole Deitelhoff erinnerte an die Visionen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der europäische Souveränität als Antwort auf die Krisen der EU fordere. Nach Macron müsse diese Souveränität durch die Herstellung innerer und äußerer Handlungsfähigkeit der EU geschaffen werden. In der politischen Debatte werde der Vorstoß Macrons zwar aufgegriffen, allerdings beschränke sich der Zuspruch auf die äußere Handlungsfähigkeit. Während insbesondere die Idee der Vergemeinschaftung von Sicherheits- und Verteidigungsfragen großen Widerhall unter Politiker/-innen der EU finde, werden im Hinblick auf innere Spaltungen keine konkreten Schritte eingeleitet. Deitelhoff konstatierte, dass wenn es nicht gelinge innere Souveränität zurückzugewinnen, die EU zunehmend intergouvernementaler und somit weniger Nutzen stiften werde. Als einen Lösungsansatz nannte Deitelhoff Macrons Idee einer „europäischen Avantgarde“, somit das Zusammenbringen der Mitglieder, die sich eine tiefere Integration vorstellen können. Außerdem müsse eine offene Auseinandersetzung über Werte und die Zukunft der EU, in Form einer radikalen Infragestellung des bislang Erreichten, zugelassen werden. „Das muss dieses politische Projekt verkraften, sonst ist es vielleicht nicht wert, dass wir so darum kämpfen“, schloss Deitelhoff.

In seinem Vortrag argumentierte Prof. Dr. Armin Nassehi, dass gegenwärtig das Extreme die politische Mitte störe, indem es dafür sorge, dass sich die Amplitude vergrößere und sich die Unterschiede zwischen den Parteien der Mitte verkleinern. Anstatt politische und strukturelle Alternativen anbieten zu können, sei die Mitte durch das Extreme infrage gestellt und verfalle so in ein simples ‚gegen das Extreme‘-Szenario. Dies zeige sich zum Beispiel an derzeitigen EU-Wahlkampfslogans wie „Europa ist die Lösung“, die kein politisches Konzept anbieten und lediglich gegen die Position der Extreme, gegen den Nationalstaat, werben. Dieses Verhalten bringe die Demokratie in eine Krise und mache es den Populisten einfacher. Nassehi plädierte folglich dafür, den Wahlkampf mit strukturellen Argumenten zu führen, sodass sich die Mitte unterscheiden könne. Er erklärte weiter, dass Demokratie die Funktion habe, die Krise, wer herrschen und welche politischen Entscheidungsprozesse es geben solle, rechtskonform zu regeln. „Demokratie kennt so etwas, wie einen Vorrang des Rechts vor der Politik“, so Nassehi und folge somit einem Verfahren, welches die Akteure zivilisiere. Auch eine politische Kultur, in der Mehrheiten nicht ihre Maximalforderung durchsetzen, was eine Loyalität der Minderheit zur Folge habe, sei eine wichtige Bedingung für das Funktionieren von Demokratie.

Zuletzt folgten Prof. Dr. Martin Saars sozialphilosophische Ausführungen zu der Frage nach dem Volk in der Demokratie. Während Demokratie unumstritten durch die Herrschaft des Volkes definiert sei, bleibe die Frage danach, wer das Volk sei, unbeantwortet. Saar hob zwei Theorien des Volkes hervor: Das Volk als politische Einheit, nach Hobbes, das als vereinheitlichte Instanz mit einer kollektiven Stimme spricht; und das Volk, gemäß Spinoza, das nicht mit einer Stimme sprechen kann, aber mit der Heterogenität der Vielen zurechtkommt. Historisch gesehen habe sich die Vorstellung des Volkes als Einheit als dominante liberal politische Strömung durchgesetzt. Jedoch könne man Demokratie auch anders denken - eine Demokratie, die den Umgang mit Vielfältigkeit erlaubt. Hinsichtlich der EU bedeute dies, dass es nach Hobbes keine Demokratie in der EU gebe, weil es kein europäisches Demos gibt, das eine Exekutive bestimmt. Nach dem Prinzip des Volkes der Vielen, kann es jedoch Demokratie in der EU geben, da unterschiedliche Formen und Prozesse bestehen, die von demokratischen Akteuren ausgeführt werden. Tatsache sei jedoch, dass die Frage nach dem Volk nie unbeantwortet sein könne, und in jeder politischen Aktion bestimmt werden müsse, so Saar. Dies verleihe der Demokratie etwas „Vages“ und „Unabgeschlossenes“.

Prof. Dr. Dr. Michel Friedman wies abschließend daraufhin, dass Demokratie ein Versprechen von Freiheit sei, mit dem auch Verantwortung zum Tragen komme. Jeder sei für das Ergebnis verantwortlich. Die Entscheidung wählen zu dürfen, löse aber auch Angst aus – die Angst vor dieser Freiheit. Friedman plädierte dafür, dass man sich dieser Angst stelle, indem man ihr entgegentrete und demokratisch lebe.

 

 

 

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören“. Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union macht deutlich, dass Demokratie in der EU für alle Mitgliedstaaten eine Pflicht und keine
Option ist. Selbst wenn in der Gemeinschaft gestritten wird und unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen, geschieht dies auf einem festen normativen Fundament – und Demokratie ist Teil dieses Fundaments.

Einige Mitgliedsländer der EU missachten Elemente der Demokratie. Einige sind dabei unstreitige Säulen, wie den Rechtsstaat, abzubauen. Die EU wird beeinflusst von autokratischen Tendenzen, Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit sowie rechtspopulistischen und antieuropäischen Haltungen. Diese Tendenzen sind auch innerhalb des Europäischen Parlaments, das als direkt gewählte EU Institution zur demokratischen Legitimation europäischer Gesetzgebung beiträgt, vorhanden. Ob bei der Finanzkrise oder der Flüchtlingsfrage, bei der Frage der Menschenwürde, bei den Themen soziale Gerechtigkeit oder dem Schutz der Innen- und Außengrenzen, das Demokratieprinzip ist nach dem Vertrag über die Europäische Union unverhandelbar und unteilbar.

Was bedeutet Demokratie in der EU im 21. Jahrhundert? Welche Anforderungen an die Demokratie werden durch den digitalen Wandel gestellt? Wie müssen Menschenrechte in einer digitalen Informationsgesellschaft geschützt werden? Wie geht man mit Mitgliedstaaten um, die ihre demokratischen Standards verändern? Muss Demokratie demokratisiert werden? Ziel des Symposiums ist eine interdisziplinäre – politische, philosophische sowie soziologische – Annäherung an diese Fragen.

15:00

Begrüßung
Prof. Dr. Martina Klärle
Vizepräsidentin Frankfurt University of Applied Sciences

Eröffnung
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman
Geschäftsführender Direktor Center for Applied European Studies

 

15:20

Was Demokratie in der EU im 21. Jahrhundert bedeuten könnte
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Grün
Vizepräsident des EVW und Apl. Professor Goethe-Universität Frankfurt am Main

15:50

Digitale Demokratisierung? – zum neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit
Jun.-Prof. Dr. Sascha Dickel
Juniorprofessor für Mediensoziologie Johannes Gutenberg-Universität Mainz

16:20

Wir brauchen europäische Souveränität ...und Demokratie?
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff
Vorstandsmitglied HSFK und Professorin Goethe-Universität Frankfurt am Main

16:50

Diskussion mit dem Publikum
Moderation: Bibiana Barth, hr-iNFO
anschließend Pause

 

17:30

Störung der Mitte – kleine und große Unterschiede
Prof. Dr. Armin Nassehi
Professor für Soziologie Ludwig-Maximilians-Universität München

18:00

Muss die Demokratie erst noch demokratisiert werden?
Prof. Dr. Martin Saar
Professor für Sozialphilosophie Goethe-Universität Frankfurt am Main

18:30

Grundrechte und Vielfalt in der EU
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Bundesjustizministerin a.D., stellv. Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung und Ehrenvorsitzende der FDP Bayern

19:00

Diskussion mit dem Publikum
Moderation: Bibiana Barth, hr-iNFO

19:30

Get-together

 

 

 

Wann und wo

Freitag, 17. Mai 2019, 15:00–19:30 Uhr
Gebäude 1, Raum 529
Campus Nibelungenplatz

Frankfurt University of Applied Sciences
Nibelungenplatz 1
60318 Frankfurt am Main

 

Anmeldung

Bitte melden Sie sich an unter www.frankfurt-university.de/caes-anmeldung
Die Teilnahme ist kostenfrei.
Mit Ihrem Kommen erklären Sie sich mit Aufnahme, Speicherung und Veröffentlichung von Bild- und Tonmaterial einverstanden.

 

Anfahrt

www.frankfurt-university.de/lageplan
Besucherparkplätze befinden sich in der Tiefgarage Zufahrt Nibelungenallee.

 

Weiterbildung

In Kooperation mit der Abteilung KompetenzCampus wird das Symposium als Weiterbildungsveranstaltung angeboten. Auf Anfrage vor Ort erhalten Sie eine Teilnahmebescheinigung.

 

Kontakt

Das Team des CAES erreichen Sie unter:

Telefon: +49 69 1533-3363

info(at)caes.fra-uas.remove-this.de

Gebäude BCN, Raum 1027

Vanessa Cascante CarballoAssistenz School of Personal Development and Education
CAES-TeamID: 6310
letzte Änderung: 07.03.2022