Vortragsreihe "Think Europe – Europe thinks": Der Schutz der Menschenrechte in Europa! mit Prof. Dr. Dres. h.c. Angelika Nußberger
Am 09. März 2021 diskutierten Prof. Dr. Dres. h.c. Angelika Nußberger, ehemalige Richterin am EGMR, Professorin an der Universität zu Köln und Verfassungsrichterin in Bosnien-Herzegowina, und der Gegenredner Prof. Dr. Matthias Jestaedt, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, im Live Stream des Center for Applied European Studies (CAES) zusammen mit dem Geschäftsführenden Direktor des CAES Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, zum Thema „Der Schutz der Menschenrechte in Europa!“ in der Reihe „Think Europe – Europe Thinks“.
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman erinnerte in seiner Begrüßung daran, dass Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit seien, dass die wenigsten Menschen auf dieser Welt diese erleben und, dass sich Menschen für deren Umsetzung einsetzen ohne diese jemals kennengelernt zu haben. Er sprach von einer Sehnsucht nach Menschenrechten, die schon lange vor dem zweiten Weltkrieg und der Shoa gegenwärtig sei, aber genau diese geschichtlichen Ereignisse brauchte, um eine Institution wie die UN zu gründen und Menschenrechte als universell zu erklären. Er stellte die zentrale Frage in den Raum: Wie ist die Realität der Menschenrechte auf unserem Kontinent Europa?
In ihrem Vortrag erläuterte Prof. Dr. Dres. h.c. Angelika Nußberger zwei Narrative zur Geschichte der Menschenrechte in Europa. Dabei begann sie mit der Darstellung der Menschenrechte als Erfolgsgeschichte Europas unter dem Stichwort der Menschenrechte als Markenzeichen Europas und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als Gewissen Europas. Mit dem Europäischen Menschenrechtsschutz, angeknüpft an dem Vorbild der UN-Charta, haben sich nun 47 europäische Staaten dem umfassenden Menschenrechtsschutz als gemeinsame Idee angenommen. Sie stellte dem das Narrativ gegenüber, dass sich der Menschenrechtsschutz von der Demokratie kontrastiert. Und erstere bei autoritärer Entwicklung letzteren nicht greifen könne. Andererseits untergrübe die völkerrechtliche Normierung demokratische Entscheidungsprozesse auf nationaler Ebene. Ferner gebe es den Vorwurf, dass Menschenrechtschutz sich nicht per se förderlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirke, da einzelne Gruppen und Interessen vorrangig behandelt würden. Als letzten Kritikpunkt führte Nußberger auf, dass internationale Gerichte weniger legitimiert seien als nationale Gerichte. Abschließend definierte sie den Schutz der Menschenrechte als einen fortschrittlichen Dauerbalanceakt zur punktuellen Konfliktlösung.
Prof. Dr. Matthias Jestaedt beschrieb seine Gegenrede als vielmehr komplementär zu den Worten von Nußberger. Er führte aus, dass die Verarbeitung von Heterogenität ein Kennzeichen und eine Stärke des europäischen Menschenrechtsschutzes darstelle und zeigte im Folgenden vier Überlegungen auf. Erstens, erläuterte er die doppelte Kohärenzherausforderung. Dabei verlautete er die Vielfalt und Vielzahl der Akteure des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg sowie die des Europarates. Es sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Staaten unterschiedlich und ungleichzeitig in menschenrechtlichen Fragen entwickelt haben. Dem Beurteilungsspielraum zentraler Begriffe seien jedoch Grenzen gesetzt, da dieser unter Kontrolle des Straßburger Gerichtshofes stehe. Zweitens, habe die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) einen unterschiedlichen Stellenwert in den Mitgliedsstaaten. In Staaten, in denen kein starkes Verfassungsgericht oder gar kein Grundrechtskatalog vorliege, nehme die EMRK die Rolle des nationalen Grundrechtsschutzes ein. Drittens, erläuterte Jestaedt die internationale Vorreiterrolle des EMRK und EMRG. Auf globaler Ebene führte er die UN Menschenrechtscharta auf, verwies aber darauf, dass diese keine echte Gerichtsbarkeit habe. In seiner finalen Bemerkung ging er auf den Menschenrechtsschutz zwischen Gesinnungs- und Verantwortungs-ethik ein und führte auf „manchmal ist das Bessere des Guten Feind“.
Im anschließenden Gespräch erinnerte Jestaedt an die Kontrollmechanismen des Gerichtshofs. So habe der jeweilige Staat ein Vorschlagsrecht, gewählt würden die Richter*innen jedoch durch den Europarat. Daraufhin führte Nußberger aus: „unglaubwürdig wird man in dem Moment, in dem man nicht mehr kritisiert“. Sie betonte, dass Maßstäbe Anwendung finden, nach denen ge- und verurteilt wird. Das EGMR könne das in der Vergangenheit gelegene nicht wieder gut machen, jedoch Kompensationen bieten, um sich für einen Mindeststandard der Grundrechte einzusetzen und diese umzusetzen. Im weiteren Gespräch wurde die Schwierigkeit der Kommunikation mit menschenrechts-missachtenden Staaten thematisiert. Nußberger wies auf, dass es Meinungsfreiheit gebe, diese ende aber dort wo feindliche, personenbetreffende Bemerkungen beginnen.
Die Fragen der Zuschauer*innen richteten sich an die Situation von flüchtenden und asylsuchenden Menschen, Friedensprozessförderung sowie Jugendengagement und Bildung.
Der europäische Menschenrechtschutz sei kein Schutz der Staatsangehörigkeit in einer Weise angreife, sondern grenzübergreifend gelte. Jestaedt betonte die Wichtigkeit eine „demokratische Umarmung anzustreben“, um die europäischen Werte des Menschenrechtsschutzes Oppositionellen nahzubringen. Dabei führte er auch die zentrale Rolle der Bildung auf und erläuterte: „Das Recht kann eine demokratische Gesellschaft alleine nicht am Leben erhalten. Recht hat eine Rahmungsfunktion“. Abschließend rief er zu Engagement auch aus der Jugend auf.
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