Am 4. Februar 2019 war Prof. Dr. Christine Langenfeld im Rahmen der Reihe „Think Europe – Europe thinks“ mit einem Vortrag zum Thema „Flüchtlingspolitik in Europa – Bausteine einer Neuordnung“ zu Gast. Die Gegenrede hielt der Botschafter der Slowakei in Deutschland, Dr. Peter Lizák.
Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Präsident der Frankfurt UAS, eröffnete die Veranstaltung und erläuterte, dass die Flüchtlingsthematik in Anbetracht von Krisen, gewalttätigen Auseinandersetzungen und dem Klimawandel auch bei derzeitig rückläufigen Asylbewerberzahlen in der EU, relevant bleiben werde. Unabhängig des europäischen Asylsystems werden Flüchtlinge in Deutschland von der Bevölkerung und Institutionen unterstützt. Auch die Frankfurt UAS hat im September 2015 die Koordinierungsstelle „FRA-UAS-hilft“ eingerichtet, zu der unter anderem das sogenannte „Willkommensjahr“ für Geflüchtete mit Studienwunsch Architektur, Maschinenbau und Informatik zähle.
Der Geschäftsführende Direktor des CAES Prof. Dr. Dr. Michel Friedman verwies auf den Gedenktag der Befreiung von Auschwitz und erklärte, dass die Erfahrungen von politischer Verfolgung im dritten Reich das Thema Asyl nachdrücklich geprägt haben. Es gebe seitdem ein europäisches Rechtsverständnis für Asyl. Jedoch stelle sich die Frage, ob dieses geltende Recht unterschiedlich interpretiert und für manche Menschen mehr gelten könne als für andere, so Friedman kritisch. Die Asylpolitik sei von Fragen der Religion bis hin zu kulturessentialistischen Vorstellungen beeinflusst, die Streitigkeiten bezüglich wer wen aufnehme zur Folge habe. Friedman forderte, dass Europa in dieser Hinsicht eine tragende Definition und ein Selbstverständnis entwickeln müsse.
Prof. Dr. Christine Langenfeld sprach zu Beginn ihres Vortrags die Mängel des derzeitigen europäischen Asylsystems an. Als ersten Krisenpunkt nannte Langenfeld die strukturelle Überlastung der Grenzstaaten und die fehlende Lastenteilung. Laut des Dubliner Abkommens müsse der erste Mitgliedstaat, den Asylbewerber betreten, diese registrieren und das Asylverfahren durchführen. Die Kontrolle und Registrierung an Außengrenzen funktioniere nicht und Grenzstaaten ließen Flüchtlinge weiterreisen. Daraus folge der zweite Krisenpunkt, namentlich der Mangel an wirksamen Mechanismen gegen die Weiterwanderung von Asylbewerbern innerhalb der EU. In diesem Zusammenhang wies Langenfeld auch auf die weit verbreitete Annahme, dass Deutschland im Jahre 2015 die Grenzen geöffnet habe, hin. Diese Vorstellung sei falsch, da die Grenzen durch den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt sowieso geöffnet seien und da weitergereiste Flüchtlinge an innereuropäischen Grenzen nicht per se abgehalten werden können, sondern die Mitgliedstaaten inklusive Deutschland per Dubliner Abkommen rechtlich dazu verpflichtet seien, Zuständigkeitsverfahren durchzuführen. Rückführungen in EU-Grenzstaaten wie Griechenland und Bulgarien seien allerdings sowohl aus menschenrechtlichen Gründen als auch in der Praxis größtenteils nicht möglich. Langenfeld nannte mit Hinblick auf die fälschliche Aussage der Öffnung der Grenzen auch die in Verbindung gebrachte Idee der „Herrschaft des Unrechts“. Auch diese Annahme sei falsch. Die Bundesverfassungsrichterin erläuterte, dass sich Verfechter dieser Aussage auf Artikel 16a des Grundgesetzes (dem Asylkompromiss der neunziger Jahre) beziehen und genauer auf Absatz 2. Dieser besage, dass sich Geflüchtete, die aus sicheren Drittstaaten oder Staaten der Europäischen Union einreisen, nicht auf das Asylrecht für politisch Verfolgte berufen können und somit an der Grenze abgewiesen werden können. Der entscheidende Fehler dabei jedoch sei, dass europäisches Recht über nationalem Recht stehe und dass das Dubliner Abkommen ein Zuständigkeitsfeststellungsverfahren vorschreibe.
Hinsichtlich Lösungsansätze plädierte Langenfeld für Flüchtlingskontingente, die alle Mitgliedsstaaten in die Verantwortung nehmen würden. Als zweiten Baustein sah Langenfeld eine langfristige Entwicklungspolitik für Afrika. Diesbezüglich sei auch der dritte Baustein, und zwar die Schaffung von legalen Zugangswegen wie zum Beispiel in Form von Berufsqualifizierungsprogrammen, wichtig. Zuletzt schlug die Bundesverfassungsrichterin konditionierte Freiheitsrechte für anerkannte Flüchtlinge vor, um die nicht realisierbare Umverteilung von Flüchtlingen zu lösen.
Der Gegenredner Dr. Peter Lizák hob hervor, dass er den meisten Argumenten von Prof. Dr. Langenfeld zustimme. Lizák sah das Problem vor allem bei den südlich gelegenen Mitgliedstaaten der EU und deren fehlender Registrierung von Asylbewerbern sowie der mangelnden Kontrolle der EU-Außengrenzen. Die Slowakei komme dieser Verpflichtung bei seiner Außengrenze mit der Ukraine nach und habe auch viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Den Vorschlag der bedingten Freizügigkeit von Flüchtlingen innerhalb der EU sah Lizák kritisch. Dies könne für kleinere Mitgliedsstaaten wie der Slowakei problematisch werden, wenn sich überdurchschnittlich viele Flüchtlinge für ihr Land entscheiden würden. Abschließend äußerte sich Lizák positiv gegenüber flexiblen Verfahren. Als Beispiel verwies er auf ein Abkommen zwischen Österreich und der Slowakei, in dem Asylbewerber zuerst in der Slowakei untergebracht werden, während das Asylverfahren in Österreich läuft.
Im Anschluss moderierte Direktoriumsmitglied Frau Prof. Dr. Susanne Koch die Fragen des Publikums an die beiden Referenten.
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