Vortragsreihe "Think Europe – Europe thinks": Putins Russland und die Sicherheit Europas mit MEP Manfred Weber und Martin Hoffmann
Seit der Krise um die Ukraine 2014 haben sich Sanktionen gegen Russland zu einem beständigen Instrument der EU-Außenpolitik entwickelt. Doch sind die Sanktionen Europas gegen Russland gerechtfertigt? Erreichen sie ihr eigentliches Ziel der Veränderung der russischen Politik? Welche Konflikte und Potenziale ergeben sich aus der schwierigen Partnerschaft? Und wie steht es um die Sicherheit Europas? Auch nach dem Fall Nawalny und wiederkehrenden Menschenrechtsvorwürfen sind sich ExpertInnen uneinig, wie die diplomatischen Spannungen zwischen der EU und Russland gelöst werden können.
Am 10. Mai 2021 diskutierten Martin Hoffmann, Geschäftsführer Petersburger Dialog e.V. und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Deutsch-Russisches Forum e.V. und Manfred Weber, Europaabgeordneter und Vorsitzender der EVP-Fraktion, im Livestream des Center for Applied European Studies (CAES) zusammen mit dem Geschäftsführenden Direktor des CAES Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, zum Thema „Putins Russland und die Sicherheit Europas“ in der Reihe „Think Europe – Europe Thinks“.
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman stellte zur Eröffnung der Veranstaltung die zentrale Frage in den Raum: Wie reagiert man als Europäische Union, als eine Wertegemeinschaft, auf die geostrategischen Herausforderungen ausgehend von Russland? Und wie geht man mit den Widersprüchen innerhalb der EU bezüglich nationaler Beziehungen zu Russland um?
In seinem Eingangsstatement betonte Martin Hoffmann die Relevanz des Dialogs mit Russland. In diesem Dialog sei es zentral angewandte Lösungen zu finden, Räume zu öffnen und auf die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zu bauen. Bei aller Vielfalt der Vorwürfe zwischen Russland und Europa bezeichnete Hoffmann die stetige Findung der Lösungen als eine „Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche“ – zwischen Reden und Sanktionen, Drohungen und Ultimaten. Weiter verwies er darauf, dass das 2007 geschlossene Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland jährlich verlängert würde, es jedoch an konstruktiver Weiterarbeit fehle. Die Rituale dieser Stagnation müssen aufgebrochen werden, sonst würden „die Gräben immer tiefer“. Dies sei das „gesellschaftliche, politische und moralische Gebot“. Man müsse sich von der Politik distanzieren und zur russischen Gesellschaft wenden - weg von der Politik Merkels, Putins und von der Leyens, hin zu der Generation ihrer Zeit. Hier seien neben bestehender Unterschiede eben so viele Gemeinsamkeiten zu finden. Deutsche und Russen haben sich in Städtepartnerschaften, Jugendaustauschen, Wissenschaftsaustausch gegenseitig bereichert und voneinander gelernt und haben gezeigt wie Kommunikation funktioniert. Hier bezog sich Hoffmann auf das Prinzip der Paradoxen Intervention (nach Frankl). Bei engsten Konflikten und Problemen, müsse vom Reiz-Reaktions-Schema abgewichen werden, um Konflikte mit dem Angebot der Zusammenarbeit, besonders mit der Zivilgesellschaft, entgegenzutreten. Dabei ginge es vor allem darum, Vertrauen aufzubauen. Es brauche beides: Kritik und starke Zusammenarbeit mit der russischen Zivilgesellschaft. Beispielhaft führte Hoffmann hier die Kooperation von Brandt und Bahr an.
Manfred Weber erläuterte in seinem Statement einen politischen Besuch, welcher gezeigt habe, dass „man in Moskau kein Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit“ habe. „Wie soll man als Europäer damit umgehen?“, fragte Weber und zählte dabei Ereignisse der Russisch-Europäischen Geschichte sowie Gegenwart auf. Er betonte die Relevanz des Bürgerdialogs, merkte aber zweifelnd an, dass dieser die bestehenden Herausforderungen löse. Weber plädierte dafür „mit allen Mitteln, Putin den Preis [zu] nennen für jede weitere Eskalation und Entschiedenheit [zu] zeigen“. Zitiere man die Putin-Rede aus dem Deutschen Bundestag, könne angemerkt werden, dass die Europäer die offene Hand Russlands nicht angenommen hätten. Weber bemängelte aber, dass auch auf westliches Entgegenkommen nicht von Russland reagiert wurde. Trotz divergierender Interessen in der EU sei es jedoch gelungen die Einstimmigkeit der EU zu halten. Geht man auf die Ursprünge der EU zurück, kann vermerkt werden, dass die EU wesentlich von engagierten Bürgern profitiert habe, welche den Frieden, die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit mitgestalteten. Diese freiheitliche Bewegung müsse in den Osten übergehen, um der oligarchischen Politik Putins entgegenzutreten.
Im anschließenden Gespräch verlautete Hoffmann den bestehenden Optimismus, welcher aus den zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in Russland resultiere. Die Freiheit im Osten entwickle sich und das nicht durch den Druck aus dem Westen. Er merkte jedoch weiter an, dass diese Gruppen im Osten noch nicht groß und gewillt genug sein, um einen Umsturz zu erreichen. Dies liege unter anderem daran, dass die Zufriedenheit mit Putins Politik auch bei den jungen Menschen präsent sei. Viele Themen, die die russische Gesellschaft ansprechen, seien die des Nationalbewusstseins und -stolzes. Diese stünden im Zusammenhang mit dem gegenüber Putin entgegengebrachtem Vertrauen und definieren letztlich auch seine Erfolgsstory. Die Politik solle, die reichlichen Möglichkeiten mit Russland ins Gespräch zu gehen nutzen. Die gegen Russland gesetzten Sanktionen und Interventionen seien nicht vergleichbar mit denen anderer gegen das Völkerrecht verstoßende Länder. Weber wiedersprach: „Das ist Europa, das ist unser Kontinent. Russland gehört zu Europa, es ist unsere Nachbarschaft, Partner, Freunde und Lebensraum“ und betonte, dass die physische Verschiebung der Grenzen durch Russland keine Banalität sei. Bei Russlands Truppenaufmarsch in der Ukraine müsse die EU zusammen mit den Vereinigten Staaten handeln und Konsequenzen aufzeigen. Hier ging Weber auf einen möglichen Stopp von Nord Stream 2 ein und stellte die Überlegung auf, wie Russland aus dem SWIFT-System exkludiert werden könne. Die europäische Antwort auf Russland sei zwar geschlossen, jedoch zu schwach in der Entschiedenheit. Hoffmann merkte an, dass die Verschärfung der Sanktionen nicht zielführend seien, sondern im Gegenteil dafür sorgen würden, dass sich die russische Gesellschaft hinter Putin stelle - „wir brauchen nicht Sanktionen, wir brauchen angewandte Lösungen und einen Weg aus der Eskalationsspirale“. Die Vermeidung einer Militärintervention sei von allen Seiten des Gesprächs unstreitig.
In der anschließenden Q&A richteten sich die Fragen der ZuschauerInnen unter anderem an die praktische Gestaltung des Europäisch-Russischen Dialogs, die Prinzipien der Angst und des Vertrauens auf Basis der Paradoxen Intervention sowie die Osterweiterung der NATO.
Zum Ende der spannenden Diskussion konkludierte Friedman, dass die zuverlässigste Brücke des Dialogs der Austausch zwischen und innerhalb der jungen Gesellschaften sei.
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