11. Alternativer Drogen- und Suchtbericht veröffentlicht
Die Cannabis-Teillegalisierung ist eines der Themen, mit denen die scheidende Ampelkoalition in Erinnerung bleiben wird. Wie die drogenpolitische Bilanz der Regierung insgesamt ausfällt, darüber gibt der aktuelle 11. Alternative Drogen- und Suchtbericht (ADSB) Aufschluss. Im Bericht, der am 18. Dezember 2024 online vorgestellt wurde, kommen Stimmen aus der Suchtprävention, -hilfe und -forschung zu Wort, darunter Expert*innen der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS).
Der ADSB wird jährlich vom Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik akzept e.V. herausgegeben, deren Vorsitzender Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt UAS ist. Der Bericht soll Unzulänglichkeiten der nationalen Drogenpolitik und evidenzbasierte Wege für ihre Weiterentwicklung aufzeigen. „Die aktuelle Ausgabe zeigt, dass die Drogenpolitik zwar in mancher Hinsicht vorangekommen ist, aber viele Verabredungen im Koalitionsvertrag nur unzureichend umgesetzt wurden. Versäumt wurden vor allem grundlegende Präventionsschritte in Bezug auf Alkohol, Tabak und Medikamente sowie die Einführung der lizenzierten Verkaufsstellen für Cannabis“, so Stöver.
Redaktionell verantwortet haben diese Ausgabe neben Stöver Ulla-Britt Klankwarth, ebenfalls ISFF, Nina Pritszens, stellvertretende akzept-Vorsitzende und vista gGmbH-Geschäftsführerin, sowie Christine Kluge Haberkorn von akzept. Auf rund 130 Seiten blicken Expert*innen in Fachbeiträgen unter anderem auf die grundsätzliche Ausrichtung und Strukturen der Drogenpolitik. So kritisieren Stöver und Dr. Ingo Ilja Michels, ebenfalls ISFF, in einem Beitrag die „Antidrogenpolitik“ in Bezug auf andere psychoaktive Substanzen als Cannabis. Sie argumentieren, das Verbot dieser Drogen schädige mehr als der legale Konsum und fordern eine Entkriminalisierung.
Berliner Drugchecking-Bilanz und erwarteter Anstieg bei synthetischen Opioiden
Als Kernthemen behandelt der diesjährige ADSB offene Fragen aus der Teillegalisierung von Cannabis, mögliche Maßnahmen in Bezug auf den Crack-Konsum, die Frage, inwieweit Deutschland auf synthetische Opioide vorbereitet ist, und die Drugchecking-Praxis. So blicken Expert*innen der vista gGmbH, einem freien Träger der Drogen- und Suchthilfe, mit ihren Kooperationspartner*innen auf ein Jahr Berliner Drugchecking-Modellprojekt zurück. Für die flächendeckende Einführung der Möglichkeit, psychoaktive Substanzen legal auf Wirkstoffgehalt und Verunreinigungen prüfen zu lassen, hat die scheidende Regierung rechtliche Grundlagen geschaffen. Bisher fehlt aber die Umsetzung durch die Länder weitestgehend. Die hohe Anzahl auffälliger Proben (47,2 Prozent), vor denen gewarnt wurde, zeige die Notwendigkeit von Drugchecking als Maßnahme zur Schadensminimierung und zum Gesundheitsschutz, ziehen die Berliner Projektmitarbeitenden Bilanz.
Adressiert wird auch das mögliche künftig verstärkte Aufkommen von synthetischen Opioiden wie Fentanyl in Deutschland als Folge des Wegfalls des Opiumanbaus in Afghanistan. So verweisen die Suchthilfe-Expert*innen Nina Pritszens, Dirk Schäffer und Dr. med. Maurice Cabanis in einer Analyse der geplanten Neuregelung zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung auf deren Wichtigkeit. Auch „Take-Home-Naloxon“ könnte als risikominimierende Maßnahme eine Rolle spielen. Das Nasenspray rettet bei Opioid-Überdosen Leben. Mit dem ISFF-Mitarbeitenden Simon Fleißner sowie Maria Kuban und Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe regt Suchtforscher Stöver in einem Beitrag die Aufhebung der Verschreibungspflicht und vermehrte Schulungen etwa für Polizist*innen an.
Anforderungen an eine neue Bundesregierung
Der aktuelle ADSB beschränkt sich aber wie in den Jahren zuvor nicht nur auf illegalisierte Drogen. Thematisiert werden auch risikomindernde Strategien für den Konsum von legalen Suchtmitteln wie Tabak. Und Jugendliche als Konsumgruppe werden in den Blick genommen. So enthält der Bericht unter anderem Präventionsempfehlungen in Bezug auf den Sedativa-Konsum von jungen Menschen. Das Phänomen ist laut ISFF-Leiter Prof. Dr. Bernd Werse und seinem Co-Autor auch durch die Corona-Krise beeinflusst.
Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl zieht der akzept-Vorsitzende Stöver als Bilanz aus dem ADSB: „Nach langer Durststrecke konnten wir in diesem Jahr einen längst überfälligen drogenpolitischen Paradigmenwechsel vollziehen, welcher nach dem 23. Februar 2025 droht, zunichte gemacht zu werden. Die aktuellen Entwicklungen auf dem Drogenmarkt insbesondere in Bezug auf Crack und synthetische Opioide machen es notwendig, dass schnell und flexibel reagiert wird und Hilfesysteme weiterentwickelt werden. Wir haben keine Zeit, ideologische Debatten zu führen – es braucht pragmatische Lösungen, um Menschenleben zu retten!“
Begleitende Presseinformationen zum 11. Alternativen Drogen- und Suchtbericht sind gemeinsam mit der Publikation unter www.alternativer-drogenbericht.de zu finden. Der Bericht ist im Verlag Pabst Science Publishers erschienen.
Kontakt:
Frankfurt University of Applied Sciences
Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit
Prof. Dr. Heino Stöver
Telefon: +49 69 1533-2823
und +49 162 133 45 33
E-Mail: hstoever(at)fb4.fra-uas. de
Über akzept:
Der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik akzept e.V. wurde im Frühjahr 1990 in Bremen gegründet. Es ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Praktiker*innen und Forschenden, Professionellen und Patient*innen, Sozialarbeiter*innen, Mediziner*innen, Jurist*innen und drogenpolitisch engagierten Personen und Verbänden.
Derzeit sind 65 Einrichtungen und Verbände sowie 140 Einzelpersonen Mitglied bei akzept. Vorstand und Aktive arbeiten ehrenamtlich für akzept. Näheres unter: www.akzept.eu.
Über das Institut für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF):
Das Institut für Suchtforschung an der Frankfurt UAS arbeitet seit 1997 an der Weiterentwicklung zielgruppenspezifischer und lebensweltnaher Prävention, Beratung und Behandlung von Suchterkrankungen. Es erforscht Sucht in ihren verschiedenen Erscheinungsformen sowie die mit Sucht in Zusammenhang stehenden Probleme und Aspekte. Das Institut fördert den Ausbau von interdisziplinären Beziehungen zu Kooperationspartnern auf nationaler und internationaler Ebene. Forschungsprozesse und -resultate finden in Studium und Lehre Berücksichtigung. Dem Institut stand von Frühjahr 2009 bis Mai 2024 Prof. Dr. Heino Stöver vor. Aktueller geschäftsführender Direktor ist Prof. Dr. Bernd Werse. Näheres zum ISFF unter: www.frankfurt-university.de/isff