"Es macht Spaß, neue Lösungen konzipieren zu können"

Wie kann im Katastrophenfall sicher kommuniziert werden? Mit dieser Frage hat sich Auberlin Paguem Tchinda seit 2016 in der Forschungsgruppe für Telekommunikationsnetze von Prof. Dr. Ulrich Trick beschäftigt – Tchinda war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Optimierung von Wireless Mesh Networks mit Netzwerkvirtualisierung für den Katastropheneinsatz". Ende vergangenen Jahres hat der Kameruner seine Promotion erfolgreich abgeschlossen. Im Interview erzählt er, wie sein akademischer Weg ihn von der Medizinphysik in den Bereich Kommunikationsnetze geführt hat, welche Erfahrungen er als kooperativer Doktorand mit der Uni Plymouth im Frankfurt Node sammeln konnte und worum genau es in seiner Promotion ging.


Herr Tchinda, Sie haben nach dem Abitur ein Studium der Medizinphysik in Dortmund begonnen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Ich hatte schon länger den Wunsch, im Ausland zu studieren. Dank meiner guten Noten war das auch problemlos möglich. Etwas schwer getan habe ich mich allerdings mit der Frage nach der richtigen Studienrichtung für mich: Die Naturwissenschaften haben mich sehr angesprochen, gleichzeitig war ich aber auch interessiert an Medizin und hatte die Chance, in der belgischen Stadt Lüttich Medizin zu studieren. Das Fach Medizinphysik schien mir eine gute Mischung aus beiden Bereichen zu sein. Etwas zu spät habe ich festgestellt, dass in der Medizinphysik eher die theoretische Erforschung der Welt im Fokus steht. Ein wichtiger Antrieb für mich bei der Studienorientierung war aber der Wunsch, mich aktiv damit zu beschäftigen, wie man Menschen helfen kann.

Trotzdem sind Sie bei Ihrem Studienfach geblieben und haben es sogar in 8 statt 10 Semestern Regelstudienzeit mit einem Master abgeschlossen.

Ja, zum einen wollte ich mein Studium nicht einfach abbrechen, zum anderen habe ich aber auch schon während des Bachelors meine Liebe zum Programmieren entdeckt und eine spannende Stelle am Lehrstuhl für Kommunikationsnetze gefunden: Dort konnte ich in einem von der Deutschen Forschungsgesellschaft geförderten Projekt zum Thema "Software Defined Networking" mitarbeiten, in dessen Rahmen neue Kommunikationssysteme für sogenannte Smart Grids – intelligente Stromnetze – entwickelt wurden.

Was hat Sie dazu motiviert, nach Ihrem Master-Abschluss eine Promotion anzutreten?

Ich hatte Lust, mich noch intensiver mit dem Thema Kommunikationsnetze zu beschäftigen, wollte aber nicht gerne noch einen zweiten Master machen. Eine Promotion schien mir der beste Weg, um keine Zeit zu verlieren und möglichst tief in mein Forschungsthema eintauchen zu können. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als ich Herrn Prof. Dr. Tricks Stellenausschreibung entdeckt habe. Ich konnte mit der Mitarbeit am Projekt zur Entwicklung eines Netzwerks für den Katastrophenfall außerdem einen Bogen zu meinem ursprünglichen Studienwunsch schlagen und einen Beitrag leisten, um Menschen zu helfen.
In anderen Ländern hätte ich als Physiker keine Chance gehabt, die Stelle zu erhalten – da wäre ich sehr auf die “Physik-Schublade” reduziert worden. Es ist toll, wie viel freier man sich in der deutschen Wissenschaft bewegen kann.

Welche Themen haben Sie im Projekt der Forschungsgruppe bearbeitet?

Ich habe drei Bereiche übernommen: Erstens habe ich den Aufbau des Netzes betreut, das ohne Interferenzen – also störende Überlagerungen von Wellen – funktionieren sollte. Zweitens habe ich mich um das Routing im Wireless Mesh Network gekümmert. Vereinfacht gesagt geht es beim Routing darum, welche Wege Datenpakete innerhalb des Netzes einschlagen. Im Katastrophenfall ist keine Zeit, um Konfigurationen vorzunehmen, das Netz muss die "Wegführung" selbst organisieren. Ich habe ein skalierbares Routing-Protokoll entwickelt, das den Weg der Datenpakete automatisch regelt und beispielsweise darauf reagieren kann, dass irgendwo ein Netzwerkknoten ausfällt und schnell neue Wege ermittelt werden müssen.

Mein drittes Thema war die Platzierung von virtuellen Netzwerkfunktionen. Ein Beispiel: Der Server sollte sich virtuell mit den Personen mitbewegen, die ihn gerade benötigen, um etwa Lagepläne eines Einsatzortes herunterzuladen. Wo dieser Server also vorher in einem PKW hätte stehen und herumgefahren werden müssen, wandert er in unserem Netz virtuell mit. Die wichtigste Vorgabe war dabei ein optimaler Energieverbrauch im Netzwerk – schließlich werden die Router kurzfristig im Einsatzgebiet aufgebaut und mit Batterien betrieben, deren Lebensdauer endlich ist.

Sie haben in Kooperation mit der University of Plymouth promoviert. Wie haben Sie Ihre Zeit als kooperativer Doktorand erlebt?

Meine kooperative Promotion hatte den Vorteil, dass ich gleich an zwei Hochschulen bestens unterstützt wurde. Die Atmosphäre in meiner Frankfurter Forschungsgruppe war sehr familiär: Man verbringt unglaublich viel Zeit miteinander und es ist kein Zufall, dass Betreuer/-innen von Promotionen "Doktorvater" oder "Doktormutter" genannt werden. Ich habe mich in der Gruppe sehr wohlgefühlt. Gleichzeitig hatte ich aber auch einen tollen Betreuer in Plymouth, der mich hervorragend fachlich beraten hat und mir den Kontakt zu Kollegen vermitteln konnte, wenn er doch mal nicht weiterwusste. Für die Unterstützung sowohl von der Frankfurt UAS als auch von der University of Plymouth bin ich wirklich dankbar.

Haben Sie Tipps für andere Promovierende?

Ich glaube, mein wichtigster Rat wäre, nicht nur selbst zu denken und zu forschen, sondern auch dabei zuzuhören, wie andere denken. Vorschläge und Impulse von außen bringen dich weiter – wir können so viel von anderen lernen.

Welchen Weg haben Sie nach dem Abschluss Ihrer Promotion eingeschlagen?

Ich bin in der Frankfurter Niederlassung eines britischen IT-Dienstleistungsanbieters als Berater im Bereich Wireless Networks tätig. Es macht Spaß, neue Lösungen konzipieren zu können – für Herausforderungen, die eine große Bedeutung für die jeweiligen Firmenkunden haben. Außerdem bleibe ich auf diese Weise darüber informiert, was für aktuelle Entwicklungen es in meinem Fachgebiet gibt.


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last updated on: 12.06.2023