Auftakt der neuen ScoPE-Veranstaltungsreihe „Wissenschaft Applied“ erfolgt.
Die School of Personal Development and Education (ScoPE) unserer Hochschule hat am 28. Februar 2024 mit ihrem Center of Applied European Studies (CAES) zum ersten Termin der Veranstaltungsreihe "Wissenschaft Applied" eingeladen. Ziel dieser neuen Reihe ist es, zu einem aktuellen Thema wissenschaftsbasierte Hintergrundinformationen, sowie Daten und Fakten aus verschiedenen Perspektiven zu liefern, um Halbwissen und Fake News entgegenzuwirken. Die interne Auftaktveranstaltung hat zum Thema „Radikalisierung in der Demokratie am Beispiel israelbezogener Antisemitismus“ im Online-Format stattgefunden. Als Gastreferent konnte der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Lars Rensmann von der Universität Passau gewonnen werden. Insgesamt nahmen über 85 Hochschulmitglieder an seinem Vortrag teil.
Zum Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe begrüßte zunächst Hochschulpräsident Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke die Teilnehmenden. Er skizzierte insbesondere die Schritte, die unsere Hochschule im Oktober einleitete, um auf den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 zu reagieren. Gleichzeitig betonte er, dass es aktuell in unserem Land zu zahlreichen antisemitischen Vorfällen komme, und unsere Hochschule und unsere Gesellschaft genau jetzt Flagge zeigen, Grenzen aufzeigen und in den Diskurs kommen müssen. Bezug nahm Schocke dabei auf die bereits im Oktober veröffentlichte Stellungnahme der Frankfurt UAS, in der klar herausgestellt wurde, dass die Hochschule jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung ablehne.
Anschließend leitete Schocke zu Prof. Dr. Barbara Lämmlein, ScoPE-Direktorin, über. Auch sie betonte, dass es aufgrund der aktuellen Radikalisierungs-Tendenzen in Deutschland wichtiger denn je sei, faktenbasiert in einen Diskurs zu gehen, aber auch offen für andere Perspektiven zu sein, auch, wenn sie nicht den eigenen Ansichten entsprechen. Die neue Reihe „Wissenschaft Applied“ werde künftig eine Plattform für eben jene Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen sein. Lämmlein stellte im Anschluss den Referenten Prof. Dr. Lars Rensmann vor. Er ist aktuell an der Universität Passau tätig und hat dort die Professur für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt vergleichende Regierungslehre inne. Als Politologe beschäftigt er sich inhaltlich mit Demokratien, Krisen von Demokratien im globalen Zeitalter, Populismus, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus sowie Menschenrechten in vergleichender Perspektive.
Rensmann führte seinen Vortrag mit einigen grundlegenden Überlegungen zur Radikalisierung in der Demokratie ein. Insbesondere nahm er Bezug auf die gegenwärtige Vertrauenskrise gegenüber den demokratischen Institutionen, Medien und Gesetzen, die mit einer Parteien- und Repräsentationskrise einhergehen. Darunter verstehe man ein mangelndes Vertrauen der Bürger*innen gegenüber etablierten Parteien und die Gründung zahlreicher neuer Parteien, die das Demokratiegefüge in Frage stellen. Gleichzeitig könne aktuell eine Legitimatiätskrise beobachtet werden, bei der ein Teil der Gesellschaft das demokratische System anzweifele – etwa mit Blick auf die Corona-Pandemie oder den Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine. Kumuliert werden könne diese Entwicklung, so der Politologe, in einer Radikalisierung, Ideologisierung und einer Postfaktizität, vor allem bei der jüngeren Bevölkerung. Als Faktor hierfür nannte er den digitalen Strukturwandel und die sozialen Medien, die laut Rensmann zu einer Polarisierung, (anonymer) Hassrede, Desinformation, Cyber Mobbing, Gewaltdrohungen und Verschwörungserzählungen führen würden. Politische Akteur*innen und Influencer*innen würden die Sozialen Medien zudem nutzen, um radikale Thesen, Desinformation und Verschwörungsmythen zu verbreiten. Einen weiteren Einfluss auf die (junge) Bevölkerung habe die AfD, die Skepsis gegenüber den konventionellen Medien verbreite und deren Repräsentant*innen die junge Zielgruppe aktiv auf Kanälen wie Tik Tok manipuliere und somit radikalisiere.
Vor diesem Hintergrund beantwortete Rensmann die Frage, was eigentlich Antisemitismus sei. Als Antisemitismus verstehe man laut dem Politologen seit der Antike einerseits diskriminierende kollektive Vorurteile gegen Jüd*innen und anderseits eine Weltdeutung, die Jüd*innen eine globale Verschwörungsmacht zuschreibe, welche die Existenz bzw. das Überleben von Kollektiv, Nation oder Menschheit gefährde. Antisemitismus gehe, so Rensmann weiter, von unterschiedlichen, sozialen Milieus und (partei-)politischen Spektren aus. Er beschränke sich also nicht nur auf radikale Rechte und sei oft mit autoritären Orientierungen anderer Ressentiments verbunden. Wie sich Antisemitismus in der Gesellschaft der Gegenwart äußere, skizzierte der Politologe anschließend anhand einiger Beispiele.
Anknüpfend daran nahm Rensmann eine Differenzierung zwischen dem allgemeinen Antisemitismus und dem israelbezogenen Antisemitismus vor. Beim israelbezogenen Antisemitismus handele es sich um eine Projektion antisemitischer Vorurteile auf den jüdischen Staat Israel und seine moderne Demokratie. Beide Formen operieren, das stellte der Referent deutlich heraus, realitätsunabhängig und bestünden schon lange vor Gründung des Staates Israel, sie seien also bspw. bereits zu NS-Zeiten und auch lange davor antizionistisch gewesen. Rensmann stellte deutlich heraus, dass es sich immer um Antisemitismus handle, wenn „die ‚Zionisten‘ zur ‚kollektiven Bedrohung für den Weltfrieden‘ stilisiert“ und „gegen einen angeblichen ‚Kindermörder Israel‘ agitiert“ werde. Auch wenn Jüd*innen dazu aufgefordert werden, sich von Israel zu distanzieren, oder wenn Israel aus der Staatengemeinschaft ausgesondert, delegitimiert oder als „besonders bösartiger“ Staat angeklagt wird, wenn Jüd*innen für antisemitischen Hass verantwortlich gemacht werden, oder wenn behauptet wird, Jüd*innen würden „übersensibel“ reagieren, handele es sich um Antisemitismus.
Zum Ende seines Vortrag ging Rensmann auf die aktuellen Geschehnisse in Israel und die Eruptionen, Dynamiken und Empörungskommunikationen des israelbezogenen Antisemitismus ein, die seit dem 7. Oktober 2023 verstärkt zu verzeichnen sind. Die Empörungswelle und die Anklagen gegenüber dem jüdischen Staat haben sich seit den Ereignissen vervielfacht, erreichten aber bereits vor der militärischen Reaktion Israels eine sehr hohe Intensität, Eskalation und Verbreitung. Rensmann betonte, dass im Zuge dessen die antisemitischen Verbrechen der Hamas – insbesondere in den sozialen Medien – verharmlos, verzerrt, gerechtfertigt („Reaktion der Kolonisieren“) oder glorifiziert werden würden. Jüd*innen weltweit fühlen sich aufgrund dieser Entwicklungen bedroht, unabhängig davon, ob sie sich mit Israel identifizieren oder nicht.
In seiner Schlussbetrachtung konstatierte Rensmann, dass die Wahrnehmung, die Demokratie als Ganzes befinde sich in der Krise, weit verbreitet sei. Ein wesentliches Element für diese „Demokratiekrise“ sei die von politischen und anderen öffentlichen Akteur*innen vorangetriebene Polarisierung und Radikalisierung der gesellschaftlichen Wahrnehmungswelten. Ebenso nannte der Politologie die Auseinandersetzung und die öffentliche Verbreitung empirieresistenter Weltbilder und Verschwörungsvorstellungen. Grund hierfür sei Polarisierung und Radikalisierung der Öffentlichkeit durch soziale Medien und den digitalen Strukturwandel. Dabei würden frei flottierende Desinformation, erodierende Grenzen des Sagbaren und Verschwörungsnarrative – oftmals verbunden mit antisemitischen Ressentiments – teils sachliche Debatten und faktenbasierte Wissensproduktion überlagern und verdrängen. In diesem politisch-medialen Klima blühe der kulturelle und politische Antisemitismus wieder auf, wenn auch teils in modernisierten Formen, so der Politologe. Antisemitismus biete eine griffig personifizierende Erklärung von Krisen, Konflikten und Problemen der sozialen Welt an, wobei verbaler Antisemitismus zunehmend in gewalttätigen Antisemitismus überführt werde; der Konflikt diene weiter dazu, um noch weit verbreitete antisemitische Vorurteile auszudrücken und sogar Gewalt zu verherrlichen. „Antisemitismus ist Teil einer allgemeinen postfaktischen Radikalisierung in der und gegen die pluralistische Demokratie“, so Rensmann abschließend.
Nach dem Vortrag leitete Lämmlein in eine abschließende Fragerunde über – denn die Teilnehmenden hatten während des Inputs von Rensmann die Möglichkeit, Fragen im Chat zu stellen.
Die Video-Aufzeichnung des Vortrags von Prof. Dr. Lars Rensmann kann in Kürze auf der ScoPE-Webseite unter www.frankfurt-university.de/scope abgerufen werden. Weitere Veranstaltungen der Reihe „Wissenschaft Applied“ sind für das Sommersemester 2024 geplant.