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„Es ist wichtig, dass man antisemitische Inhalte meldet, damit sie entfernt werden“

Für ihre Thesis „Bildungsarbeit gegen Antisemitismus auf TikTok. Untersuchung der Handlungsempfehlungen empirischer Studien zu Antisemitismen auf TikTok“ im Fb 4 hat Luise Wolff, den Johanna-Kirchner-Preis 2023 des Kreisverbands der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt erhalten. Im Gespräch erzählt die Absolventin des Bachelors Soziale Arbeit über ihre Motivation für das Thema, was sie von der Frankfurt UAS mitnimmt und was jede*r einzelne gegen Antisemitismus auf TikTok tun kann.

Frau Wolff, haben Sie sich schon vor Ihrer Arbeit mit dem Thema Antisemitismus auf Social Media beschäftigt?

Ich war vorher Werkstudentin im Bereich Community Management bei einer politischen Bildungseinrichtung in Frankfurt. Das heißt, ich habe viel mitbekommen, wie es auf TikTok aussieht, wenn man sich mit Antisemitismus beschäftigt. Und dann habe ich mich auch immer gefragt, was es für Handlungsempfehlungen gibt und habe angefangen, mich damit zu beschäftigen. Ich habe aber auch gesehen, dass es bei der praktischen Bildungsarbeit oft schwer ist, sich noch einmal genauer mit der Theorie und Empirie auseinanderzusetzen. Und da bin ich sehr glücklich, dass ich mir das Thema mit dem Praxiswissen aber auch dem wissenschaftlichen Zugang noch einmal näher habe ansehen dürfen.

Was ist wichtig, wenn man die Plattform TikTok betrachtet?

Ich glaube erstmal, dass man TikTok als eigenen digitalen Raum betrachten sollte. Sie ist nicht wie andere Social-Media-Plattformen. Bei Instagram folge ich Accounts und wenn ich die App öffne, bekomme ich Beiträge dieser Accounts angezeigt. Bei Tiktok gibt es die so genannte „For you“-Page und wenn ich die App öffne, bekomme ich Videos angezeigt, die mir ein Algorithmus vorschlägt. Das macht die Nutzung der Plattform total anders, weil ich nicht genau nachvollziehen kann, wieso mir diese Videos vorgeschlagen werden. Hinzu kommt, dass die Plattform zunehmend relevanter wird. Nicht nur in Bezug auf die Nutzenden – gerade sehr viele junge Menschen nutzen die Plattform – sondern auch darauf, wie die Plattform genutzt wird. Studien deuten darauf hin, dass TikTok zunehmend zur Informationsbeschaffung genutzt wird. Das macht es noch relevanter zu wissen: Was sind das für Inhalte auf TikTok? Wer stellt sie zu Verfügung? Und wie werden sie konsumiert?

Wie war die wissenschaftliche Betreuung für so ein junges Thema?

Mein Erstbetreuer Prof. Dr. Stefan Müller hat von Anfang an die Relevanz von TikTok als Plattform gesehen und mich darin unterstützt. Als Experte im Bereich Bildung gegen Antisemitismus hat er mir auch wichtige Hinweise für meine Recherche gegeben. Dass die Relevanz von TikTok unterschätzt wird, habe ich dagegen eher bei Personen erlebt, die sich mit der Plattform bislang nicht beschäftigt haben. Da gibt es oft die Vorstellung, dass es eine Spaßplattform ist.

Wie kann man denn in der Bildungsarbeit gegen einen Algorithmus etwas ausrichten?

Einfach gesagt: Man muss gute Inhalte zu Verfügung stellen, damit Leute sie interessant finden. Dann wird der Beitrag wahrscheinlich besser verbreitet. Dafür muss man verstehen, wie auf der Plattform gesprochen wird. Und man muss sich bei dem Thema auch bewusst sein, dass TikTok-Beiträge mit bestimmten Wörtern aus dem Feld des Antisemitismus eventuell schlechter ausgespielt. Zum Beispiel haben Untersuchungen gezeigt, dass Worte wie Holocaust zensiert wurden. Das hat dazu geführt, dass sogar Bildungseinrichtungen selbst die Wörter verändert haben, um den sogenannte „Shadowban“ zu umgehen. Ich habe dazu keine endgültige wissenschaftliche Meinung. Aber meine persönliche Einschätzung ist, dass man dadurch das Problem nicht beseitigt, indem man sich anpasst.

Was können denn TikTok-Nutzende selbst machen, um auf aktiv gegen Antisemitismus vorzugehen oder zumindest zu vermeiden, in antisemitische Filterblasen zu geraten?

Man sollte sich allgemein mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzen und verstehen, dass er ein allgegenwärtiges Problem ist und häufig gar nicht erkannt wird. Es kann sein, dass ich als TikTok-Nutzende Inhalte teile, ohne zu wissen, dass sie antisemitisch sind. Dann ist es ein wichtiger Punkt, als Nichtbetroffene Betroffene zu unterstützen. Sobald sich Personen als Betroffene auf TikTok zeigen, können sie sicher sein, dass sie viele antisemitistische Kommentare erhalten. Die Unterstützung der Betroffenen kann unterschiedlich aussehen: ich kann kommentieren, eine Gegenrede schreiben oder Gegenreden liken. Und es ist wichtig, dass man antisemitische Inhalte meldet, damit sie entfernt werden. Es ist keine Option, Antisemitismus auf TikTok stehen zulassen. Es reicht auch nicht, zu kommentieren, dass ich anderer Meinung bin. Denn der Algorithmus könnte daraus schließen, dass erhöhtes Interesse an solchen Inhalten besteht und es noch mehr Leuten ausspielen.

Ihr Weg geht ja nun weg aus Frankfurt für einen Master-Studiengang. Was nehmen Sie aus Ihrem Studium der Sozialen Arbeit mit?

Ich denke, die Art und Weise, wie Wissenschaft genau beleuchtet und kritisch hinterfragt. Das kann auch im Alltag nützlich sein. Durch das Studium habe ich angefangen, mich für qualitative Forschung zu interessieren. Ich hatte hier an der Frankfurt UAS schon die Möglichkeit, sie bei ein paar Projekten umzusetzen und würde gerne weiter den Forschungsweg einschlagen. Ich weiß zwar nicht, ob ich ihn bis zum Ende gehe, weil es da viele Herausforderungen gibt. Aber momentan hätte ich Lust, in dem Bereich weiter zu arbeiten und zum Beispiel auch weiter empirisch zu erforschen, wie Bildungsarbeit gegen Antisemitismus auf TikTok aussehen könnte. Denn gerade, wie wirksam die Empfehlungen in dem Bereich sind, ist kaum erforscht.

Was würden Sie anderen Studierenden raten, die gerade auf der Suche nach einem Thema für eine Bachelorarbeit sind?

Ich würde empfehlen, bei der Suche nach dem Thema länger zu überlegen, weil man dann anschließend viel Zeit damit verbringen wird. Ob man eher über etwas schreiben möchte, was schon öfter bearbeitet worden ist oder noch nicht so intensiv, ist, denke ich, eher eine Typ-Frage.Aber ich würde empfehlen, ein Thema zu suchen, für das man sich interessiert. Bei mir war es gerade dieses Thema, bei dem ich gemerkt habe: Das hat eine Aktualität, eine Relevanz. Und ich habe mich gleich gefragt: Was gibt es für Möglichkeiten etwas zu tun? Und es gab noch keine Antwort darauf.

 

 

Über den Johanna-Kirchner-Preis:

Johanna Kirchner war eine Frankfurter Kommunalpolitikerin, die die Arbeiterwohlfahrt mitaufgebaut hat und gegen das NS-Regime Widerstand geleistet hat. In ihrem Namen lobt der Frankfurter Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt den Johanna-Kirchner-Preis mit einem Preisgeld in Höhe von 1.000 Euro aus. In Zusammenarbeit mit unserer Hochschule werden damit herausragende Abschlussarbeiten von Absolventinnen und Absolventen des Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt University of Applied Sciences ausgezeichnet.

Zentrale WebredaktionID: 13137
letzte Änderung: 23.11.2023